Redebeitrag: Gegen Fan-Ausschlüsse und Kollektivstrafen

Stellungnahme zum Derby
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Alles in Ordnung beim VfL?
22. Mai 2016

Am 06.03.2016 fand im Rahmen des Fußballspiels SC Preußen Münster – VfL Osnabrück aufgrund des Ausschlusses von Gästefans eine Demonstration der Fanszene Osnabrück in Münster statt. Einen der Redebeiträge wollen wir an dieser Stelle auch öffentlich teilen, da viele der Aussagen den aktuellen Status quo von Fankultur in Deutschland und mögliche zukünftige Entwicklungen widerspiegeln.

„Heute ist Derbytag. Das ist ein besonderer Tag, das muss niemandem, der heute hier steht, erklärt werden. Aber was macht den Tag des Derbys so besonders? Das Spiel gegen den Erzrivalen, sicherlich noch mehr aber das Messen, sportlich und eben ganz besonders auch auf den Rängen. Das kann nicht jeder nachvollziehen, das muss auch nicht jeder mitmachen. Aber es ist unbestritten Teil der Faszination des Fußballs, es ist, was die Einzigartigkeit dieses Sportes begründet und so viele begeistert. Es ist eine eigene Fankultur, die nur der Fußball zu bieten hat. Genau deshalb fordern wir, die genau das wollen, unser Recht ein, unsere Fankultur ausleben zu dürfen. Ein Derby ohne Gästefans ist nicht nur ein massiver Eingriff in diese Fankultur, vielmehr offenbart es ganz exemplarisch, was beim Fußball seit Jahren schief läuft. Die Umdeutung der Fankultur zum Sicherheitsrisiko durch Verbände, Polizei und Politik gefährdet nicht nur den Fußball wie er geliebt wird, sondern diffamiert uns Fans in einem nicht zu ertragendem Maß. Diese Kampagne mündet in massive Eingriffe in unsere Rechte und Freiheit – als Fans und als Bürger. Wie frei eine Gesellschaft ist, zeigt sich an ihren Rändern! Wem das zu pathetisch klingt, der sollte jetzt erst recht gut zuhören.

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Dass wir heute hier in Münster stehen und nicht auf dem Weg ins Stadion sind, ist das Resultat einer Hysteriespirale, die nichts außer Frust hervorgebracht hat. Welchem Prinzip folgt eigentlich der Gedanke eines kollektiven Gästeausschlusses bei Fußballspielen? Die Unschuldsvermutung – ein oft zitierter Grundpfeiler unserer demokratischen Gesellschaftsordnung – greift hier schon lange nicht mehr. Eine Stigmatisierung einer ganzen Gruppe, nämlich uns, der Fußballfans, aufgrund von Verfehlungen Einzelner, ist für uns nicht mehr wort- und tatenlos hinnehmbar. Nur im Fußball werden 100.000 Fans als Störer verunglimpft. So werden alle, die sich in welcher Art auch immer für den Fußball interessieren und engagieren unter Generalverdacht gestellt. Kritik und Mündigkeit wird bewusst mit Gefährdung und Unruhe vermischt. Rechtsstaatliche Prinzipien werden mit Füßen getreten und am Ende wird den Leidtragenden, nämlich den Fans, auch noch vorgeworfen, Schuld an dieser Entwicklung zu sein. So sieht also der Dialog aus, in dem wir angeblich stehen. Die Realität – das monologe Vortragen von haltlosen Vorwürfen und Vorverurteilungen seitens Politik, Polizei und auch Medien, aber auch das oftmals stille Abnicken von Maßnahmen durch Vereine und Verbände ist zermürbend. So wird eine Kultur des Stillhaltens gefördert, die einer Demokratie unwürdig ist. Gerade andere Meinungen, besonders die von vermeintlichen Minderheiten, müssen ihren Platz in der Debatte haben, ohne von vornherein als haltlos sabotiert zu werden. Nur so kann der so oft geforderte Dialog auf Augenhöhe zustande kommen. Dass auch Selbstkritik zu diesem Prozess gehören muss, ist uns Fans schon lange bewusst. Dass wir dazu in der Lage sind, haben wir oft und wiederholt bewiesen. Nicht nur in Osnabrück. Einseitig kann das aber niemals funktionieren. Solange Fehler und Verfehlungen ausschließlich auf Seiten der Fans wahrgenommen und breitgetreten werden, ist an eine echte Verständigung kaum zu glauben. Wir lassen uns nicht in „gute“ und „böse“ Fans einteilen von Personenkreisen, die Unwillens sind, sich selbst kritisch zu hinterfragen. Wie Paradox ist das Zerrbild geworden, das heute von Fans und ihrer Kultur gezeichnet wird?

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Die sogenannten „positiven“ Aspekte der Fankultur wie Fahnen, Choreographien und Gesänge werden von Vereinen stolz umher getragen, z.T. sogar zu einem nicht unerheblichen Maße zu Geld gemacht. Der Verband wirbt mit der speziellen Fankultur in Deutschland, zum guten Ton eines jeden Politikers gehört das Ablichten mit Vereinsschal in der Kurve. Dass das Erstellen von Choreographien, ja sogar das Mitnehmen einer Trommel in den Fanblock mittlerweile ein bürokratischer Kampfakt geworden ist, dass die Freiheiten, die diese Kreativität erst hervorgebracht hat und in der diese gedeihen kann, immer weiter eingeschränkt um nicht zu sagen erstickt werden – davon redet in Berlin, Frankfurt oder auch Osnabrück bzw. Münster niemand. Als attraktives Beiwerk erwünscht, aber Teil des Spiels verpönt? Und dann, wenn wieder etwas passiert ist, sind wir die negativen Begleiterscheinungen und sollen auf einmal erklären, was denn nun mit uns falsch ist?! So kann und so wird es nicht weitergehen!

Ja, wir wollen den Fußball so leben wie wir das seit Jahren tun. Dazu gehören Emotionen und da unterscheiden wir uns vielleicht auch von anderen Besuchern im Stadion. Ist das ein Problem? Wir sagen Nein! Wir sind keine Konsumenten, wir gestalten den Fußball, durch unser Auftreten, unsere Präsenz und unsere Vorstellungen von Fankultur. Ist das gefährlich? Wir sagen Nein. Wo kommen wir hin, wenn nur durch totale Anpassung an Normen, die auch noch durch korrupte Funktionäre festgelegt werden und beliebig veränderbar sind, ein Besuch eines Fußballspiels akzeptabel erscheint. Wir sind nicht verdächtig, weil wir im Stadion stehen wollen, wir sind nicht gefährlich, weil wir laut durch die Kurven ziehen. Und wir sind nicht problematisch, weil wir auch außerhalb des Stadions zu unseren Werten stehen. Es muss aushaltbar sein, dass es Unterschiede gibt. Das ist demokratisch und nicht gefährlich. Dieses Recht fordern wir ein, ohne dafür verdächtigt und ausgeschlossen zu werden. Ohne dafür kriminalisiert zu werden!

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Egal ob aus den Verbänden oder der Politik, ob Polizei oder Vereine. Fans werden immer mehr zu einem Problem gemacht, erst recht mündige Fans, die Mitbestimmung wollen und eigene Ideen haben. In dieser Spirale von Übertreibungen und Falschdarstellungen ist es kein Wunder, dass jedes Vorkommnis instrumentalisiert wird, um das Bild des Risikos zu beschwören. Alles ist Gewalt, der Stadionbesuch gefährlich, das Warten auf den großen Knall – „alles nur noch eine Frage der Zeit“. Hundertschaften bei jedem Spiel, totale Überwachung, Stadionverbote, Betretungsverbote, Auflagen und der totale Verlust der Differenzierung, in der Politik, bei der Polizei und auch in weiten Teilen der Presse.

Dieser ganze Aufwand, der betrieben wird, um Sicherheit zu schaffen, steht in keinem Verhältnis zu der vermeintlichen Bedrohung. Immer mehr, immer weiter, immer absurder.

Um dieser Aufwärtsspirale des zwecklosen Aufwandes zu entkommen, braucht es ein Ziel. Aber was ist eine willkommene Exitstrategie aus dieser von Verein, Verbänden und Polizei selbst geschaffenen Situation? Totale Sicherheit kann es nicht geben, weder beim Fußball noch anderswo. Man könnte das natürlich ganz rational anerkennen, vielleicht sind wir im Sicherheitsdenken der terrorgeprägten Zeit über das Ziel hinausgeschossen. In welchem Verhältnis steht eigentlich Aufwand und Ertrag? Oder aber, man macht es wie Verbände und Polizei und sucht nach Möglichkeiten, das „Sicherheitsrisiko“ weiter zu bekämpfen. Immer neue Gruppen werden als Bedrohung ausgemacht. Waren es früher die Stehplätze, sind es jetzt die Gäste. Die gleichen Menschen stehen zu Hause in der Kurve und werden zur Gefahr wenn sie den Ort wechseln? Wie auch immer versucht wird, die Fanszenen zu spalten, es ist und bleibt willkürlich und kann damit jeden treffen. Mit dem Ausschluss von Gästefans ist eine Eskalationsstufe erreicht, die unsere Rechte als Fans und Bürger massiv einschränkt und schlussendlich den Fußball an sich in seiner jetzigen Form fundamental gefährdet. Die willkürliche Festsetzung von Risikospielen macht einen Gästeausschluss jederzeit und überall möglich. Der breiten Öffentlichkeit wird durch die einseitige Darstellung von Gefährdungsszenarien suggeriert, dieser nächste Schritt sei alternativlos. Alternativlos sind aber nur der Dialog mit uns, den Fans und der sofortige Verzicht auf solche Maßnahmen.

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Anstatt weiter an der Eskalationsspirale zu drehen, sollten alle Beteiligten überlegen, wo die Reise hingehen soll. Sinnlose Geldstrafen durch Verbände, schikanierende Auflagen und Kontrollen durch Polizei und Politik und dazu das Duckmäusertum der Vereine haben die Situation nur weiter verfahren. Der erhobene Zeigefinger und die Drohungen werden ganz bestimmt nicht dazu führen, dass wir verschwinden. Wir sind immer da. Das ist unser Wunsch, Anspruch und Vorsatz.

Deswegen ist es umso wichtiger, dass wir auch heute alle hier stehen! Uns kann man nicht ausschließen, wir gehören zum Spiel und wir bleiben dabei. Wir lassen uns nicht aussperren und in unseren Rechten beschneiden. Wir bleiben nicht zu Hause und lassen uns zu passiven Statisten degradieren. Wir reden weiter mit, ob man uns zuhört oder nicht. Wir bleiben präsent und kämpfen für unsere Rechte, gegen willkürliche und völlig überzogene Maßnahmen. Gästefans gehören zum Spiel, immer. Gästefans gehören in die Kurve und nicht auf die Marktplätze dieser Republik. Hier wollen wir nicht sein, hier will uns keiner haben. Gebt uns Raum und wir machen Platz.

Wie oft müssen wir es noch sagen? Fußballfans sind keine Verbrecher, kein Problem und bestimmt kein Risiko. Wir sind das Salz in der Suppe!

Der Fußball gehört uns Fans! Darum appellieren wir heute gemeinsam eindringlich an die Vereine und Verbände, an die Politik und Polizei: Lasst die Scheiße sein!“